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MUMIENPORTRAIT EINER DAME
Hawara, Ägypten, trajanische Periode, Anfang 2. Jh. n. Chr.
Holzpaneele polychrom bemalt mit Enkauste-Technik und auf späterem Holzpaneel montiert. Lichtmass 38 × 23,5 cm.
Schätzung: CHF 20 000 / 30 000
Verkauft für CHF 450 000
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Mumienporträts oder «Fayum»-Porträts, wie sie oft genannt werden, sind realistisch gemalte Abbilder, die in Teilen Ägyptens vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. über den Gesichtern von Mumien angebracht wurden. Obwohl sie erstmals 1615 von Europäern entdeckt wurden, gelangten diese Porträts erst im späten 19. Jahrhundert ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Im Jahr 1887 war der österreichische Teppich- und Textilhändler Theodor Graf (1840–1903) in Kairo auf der Suche nach seltenen Textilien, als ihm mehrere hundert solcher Porträts angeboten wurden. Er kaufte sie alle und wählte etwa neunzig für eine Verkaufsausstellung aus, die durch Europa und Amerika reiste, unter anderem zur Weltausstellung in Chicago 1893.


Der verblüffende Realismus dieser Gemälde widersprach der allgemeinen Vorstellung von stark stilisierter ägyptischer Kunst, was die Öffentlichkeit faszinierte und gleichzeitig Zweifel an ihrer Echtheit aufkommen liess. Diese Zweifel wurden nach 1888 ausgeräumt, als der angesehene Ägyptologe Sir William Matthew Flinders Petrie (1853–1942) in Hawara im Fayum-Becken etwa neunzig Mumien mit ihren Porträts entdeckte. Während die von Graf entdeckten Porträts kurzerhand und ohne Rücksicht auf die Wissenschaft von den Mumien abgetrennt wurden, dokumentierte Petrie seine Funde sorgfältiger und ermöglichte es den Gelehrten so, diese Kunstwerke in einen historischen Kontext einzuordnen. Das hier vorgestellte Porträt kann direkt auf Petries Expedition von 1888 zurückgeführt werden.


Die Verwendung von dreidimensionalen, stilisierten Porträtmasken war schon zweitausend Jahre vor der römischen Eroberung Teil der ägyptischen Begräbnistradition. Sie dienten als unbestechliches Duplikat des Verstorbenen, als Aufbewahrungsort für seine Seele. Aber personalisierte, zweidimensionale Porträts, wie sie in Hawara und anderswo gefunden wurden, wurden in Ägypten erst im 1. Jahrhundert n. Chr. unter römischer Herrschaft populär. Stilistisch hat diese Art der Malerei ihren Ursprung im antiken Griechenland, was nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass die meisten Nicht-Ägypter, die unter römischer Herrschaft in Ägypten lebten, Nachfahren der Griechen waren, die sich unter der hellenistischen ptolemäischen Dynastie dort niedergelassen hatten. Es wird vermutet, dass diese griechisch-ägyptische Elite durch die Betonung ihres griechischen Erbes ihren Status in den Augen der damaligen römischen Herrscher verbessern konnte – was auch eine Motivation für die Beauftragung von Grabporträts gewesen sein könnte. Da die meisten anderen Beispiele der griechisch-römischen Tafelmalerei – einer hoch angesehenen Kunstform in der antiken Welt – nicht erhalten sind, sind die oft erstaunlich gut erhaltenen Mumienporträts eine wertvolle Quelle für Kunsthistoriker aus dieser Zeit.


Mumie mit einem eingefügten Tafelporträt eines Jugendlichen,
ca. 80–100 n. Chr.
© Metropolitan Museum of Art, New York


Porträt eines Mannes, ca. 125–50 n. Chr.
© Antikensammlung, München





Mumienporträt einer Frau, ca. 100 n. Chr.
© J. Paul Getty Museum, Malibu.

Die Porträts wurden auf dünne Holztafeln gemalt (interessanterweise haben Forscher des Britischen Museums festgestellt, dass ein grosser Prozentsatz der Mumienporträts aus Lindenholz besteht, einem Baum, der in Ägypten nie heimisch war) oder in einigen Fällen direkt auf die Mumienhülle. Es scheinen sowohl Enkaustik- (auf Wachsbasis) als auch Temperatechniken verwendet worden zu sein, und oft wurde die Tafel gebogen, damit sie besser in die Hülle passte. Es ist nicht bekannt, ob die Porträts zu Lebzeiten der Verstorbenen oder unmittelbar nach ihrem Tod gemalt wurden, und auch nicht, ob sie den abgebildeten Personen wirklich ähnlich sehen (trotz der etwas zweifelhaften Behauptung von Theodor Graf, er habe die Porträts mit den Mumien verglichen, von denen sie abgetrennt wurden, und festgestellt, dass sie alle getreue Abbildungen der Verstorbenen seien), aber es scheint ein echtes Bestreben gewesen zu sein, zumindest den Gesichtstyp der abgebildeten Person wiederzugeben. Eine gewisse Standardisierung ist unvermeidlich; eine Studie der Northwestern University hat gezeigt, dass die Gesichtszüge fast aller bekannten Mumienporträts auf zehn gleichmässig angeordnete horizontale Bänder verteilt werden können (siehe Abb.).


Das hier vorgestellte Porträt wurde 1888 von Petrie ausgegraben und gelangte in die Sammlung von Henry Martyn Kennard (1833–1911). Kennard, der aus einer wohlhabenden walisischen Eisenfabrikantenfamilie stammte, war ein bekannter Wohltäter der Archäologie und half nicht nur bei der Finanzierung von Petries Hawara-Expedition, sondern arbeitete auch selbst an der Ausgrabung mit. Kennard spendete in grossem Umfang an verschiedene Museen, darunter das Ashmolean und das British Museum. Seine Privatsammlung wurde 1912 bei Sotheby’s in London versteigert. Darunter befand sich auch das vorliegende Porträt, das schliesslich von dem Zürcher Textilmagnaten und angesehenen Antiquitätensammler Dr. Arnold Ruesch (1882–1929) erworben wurde. Zwei weitere Porträts aus der gleichen Auktion befinden sich heute im Royal Ontario Museum in Toronto. Nachdem die Sammlung von Dr. Ruesch 1936 in der Galerie Fischer in Luzern versteigert wurde, gelangte das vorliegende Porträt in die Sammlung von Dr. Julius Maeder aus St. Gallen, in dessen Familie es seither geblieben ist.


Die Auktion am 21. September bietet eine einzigartige Gelegenheit, ein vollständig dokumentiertes Stück Geschichte und ein faszinierendes Porträt zu erwerben.



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Die Einteilung der Mumienporträts in zehn gleichmässig verteilte, horizontale Bänder
Links: Porträt eines jungen Mannes, 193–235 n. Chr.
Rechts: Porträt einer Frau, 90–110 n. Chr.
© Ashmolean Museum of Art and Archaeology, University of Oxford
Quelle: Jevon Thistlewood, Olivia Dill, Marc S. Walton, Andrew Shortland, A Study of the Relative Locations of Facial Features within Mummy Portraits, in: Marie Svoboda, and Caroline R. Cartwright, editors, Mummy Portraits of Roman Egypt: Emerging Research from the APPEAR Project, J. Paul Getty Museum, 2020.




Mumienporträt einer jungen Frau, ca. 100 n. Chr.
© Royal Ontario Museum, Toronto.


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